Der Paragraph 219a Strafgesetzbuch hatte Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, verboten, sachliche Informationen über den Ablauf und die Methoden des Eingriffs öffentlich, etwa auf ihrer Homepage, bereitzustellen. Sie mussten mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Ärzt:innen verklagt – und immer weniger trauten sich, überhaupt Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.

Betroffenen Frauen wurden wichtige Informationen vorenthalten und das Auffinden von geeigneten Ärzt:innen erschwert. Dies hat ihnen den Zugang zu medizinischer Versorgung behindert und das Recht von Frauen auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung beeinträchtigt. Dafür, dass der Paragraf gestrichen wird, haben viele in der SPD-Fraktion gekämpft.

Fünf Abgeordnete sagen, warum die Abschaffung des Paragrafen so wichtig für sie war – und was jetzt noch passieren muss.

Sonja Eichwede

Porträt von Sonja Eichwede
(Foto: Photothek)

Frauen müssen über ihren Körper bestimmen können

Die Streichung des Paragrafen 219a werde das Selbstbestimmungsrecht der Frau maßgeblich stärken, sagt Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, die in den Gesetzesverhandlungen mit am Tisch saß. Das sei ihr wichtig. Der Paragraf stamme schließlich aus der Nazizeit. Sie sei so aufgewachsen, dass es eine Selbstverständlichkeit sein müsse für Frauen, über den eigenen Körper zu bestimmen.

In der Ampel habe es zur Streichung des Paragrafen 219a einen „großen Konsens“ gegeben, die Probleme seien später aufgetaucht. Konservative Länder wollten ein Informationsverbot in die Berufsordnung von Ärzt:innen einfügen – und so Regeln gegen den Willen des Gesetzgebers schaffen. „Deshalb mussten wir zusätzlich ein Informationsrecht für Ärzt:innen und Beratungsstellen einführen“, erzählt Sonja Eichwede.

„Es muss für Schwangerschaftsabbrüche definitiv rechtliche Regelungen geben“, sagt sie. Das Strafgesetzbuch sei aber der falsche Ort. Das Lebensschutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts sei nicht an die Regelungen des Strafgesetzbuches gebunden. Die Abgeordnete freut sich, dass sich – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – nun eine Kommission mit einer etwaigen Neuregelung befassen wird.

 

Leni Breymaier

Porträt von Leni Breymaier
(Foto: Photothek)

Neue Sicherheit  für Ärzt:innen

Leni Breymaier, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, hat die Streichung des 219a in den Koalitionsverhandlungen mitverhandelt. Die 62-Jährige kämpft schon seit langem für die Selbstbestimmung der Frau, ging bereits Anfang der achtziger Jahre in Mannheim auf die Straße, um gegen den Paragrafen 218 zu protestieren, der Schwangerschaftsabbrüche strafbar macht. 

Der Paragraf 219a, so Breymaier, sei erst in den vergangenen Jahren zum größeren Thema geworden, als immer mehr Ärzt:innen mit Bezug auf den Paragrafen verklagt wurden. Kampagnen gegen Frauen gebe es aktuell sogar weltweit, wie etwa in den USA, wo jetzt in mehreren Staaten ein Abtreibungsverbot neu eingeführt wird und die jüngste Entscheidung des Supreme Court das Land noch weiter spaltet. Auch in Polen seien legale Abtreibungen praktisch unmöglich geworden.

Der Feldzug gegen das Informationsverbot über Abtreibungen habe nicht nur Frauen eingeschüchtert, sondern auch Ärzt:innen, sagt Breymaier. 

Die neue Regelung schaffe nun Sicherheit für sie. „Ich freue mich wie Bolle“, sagt die Politikerin. Die Streichung des Paragrafen 219a ist Breymaier zufolge ein Stück Rückeroberung der Selbstbestimmung der Frau. Aber ohne die Entfernung auch des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch sei sie nicht komplett. Schwangerschaftsabbrüche gehörten nicht ins Strafgesetzbuch.

 

Carmen Wegge

Porträt von Carmen Wegge
(Foto: Photothek)

Gehässige Mails von „Lebensschützern“

Für Carmen Wegge, die neu im Bundestag ist, war die Abschaffung des 219a als Berichterstatterin im Rechtsausschuss für Gleichstellungsthemen eine ihrer ersten Aufgaben. „Ich verstehe mich als Feministin und deswegen ist es mir sehr, sehr wichtig, dass der Paragraf 219a gestrichen wird“, sagt Wegge.

„Wir müssen in unserer Gesellschaft sicherstellen, dass Frauen selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden können. Und die erste Voraussetzung dafür ist, dass sie auch alle Informationen dafür haben.

Widerstand dagegen hat Wegge schon persönlich erfahren. In ihrer allerersten Rede sprach sie sich für die Abschaffung des Paragrafen 219a aus. Danach bekam sie gehässige E-Mails von der sogenannten „Lebensschützer“-Bewegung. Diese Gruppen, die ein konservatives Weltbild schürten, seien deutlich stärker geworden in den letzten Jahren, so Wegge.

Besonders wichtig ist ihr, dass zügig gegen Gehsteig-Belästigungen vorgegangen wird, bei denen „Lebensschützer“ vor Kliniken und Beratungsstellen demons­trieren und den Abbruch als Sünde darstellen. „Das trägt zur Stigmatisierung der Frau bei und muss verboten werden“, fordert sie. Die zuständigen Berichterstatter:innen erarbeiten dazu derzeit eine Positionierung, um eine bundeseinheitliche, gesetzliche Regelung zum Schutz von Hilfe suchenden Schwangeren zu fordern.

 

Felix Döring

Porträt von Felix Döring
(Foto: Photothek)

Rehabilitierung von Kristina Hänel war überfällig

Als die Ärztin Kristina Hänel 2018 verklagt wurde, weil sie über die in ihrer Praxis vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche informierte, war Felix Döring entsetzt. Die Ärztin wohnt in seinem Wahlkreis in Gießen. „Da haben wir hier natürlich an den Kundgebungen gegen das Urteil teilgenommen und zu jeder Gelegenheit unsere Solidarität mit Kristina Hänel erklärt“, erzählt der 31-Jährige, der im vergangenen Herbst in den Bundestag eingezogen ist.

So hielt er auch seine erste Rede zur Streichung des Paragrafen 219a, und bezog sich darin auch auf die Ärztin: „Kristina Hänel hat informiert, aufgeklärt, beraten, sie hat einfach nur ihren Job gemacht, und es beschämt mich zutiefst, dass sie aufgrund der Rechtslage mittlerweile eine verurteilte Straftäterin ist“, so Döring. Er freute sich, dass Hänel auf Einladung der SPD-Bundestagsfraktion als Sachverständige bei der Anhörung zu dem Gesetz im Rechtsausschuss teilgenommen hat.

 „Das war ganz, ganz wichtig, weil sie gewissermaßen die Symbolfigur ist in diesem politischen Kampf“, sagt Döring. 

Er begrüßte, dass in dem Gesetz zur Streichung des 219a auch eine Rehabilitierung enthalten ist: Dass also die Urteile gegen Kristina Hänel und alle anderen verurteilten Ärzt:innen nun wieder aufgehoben werden.

 

Josephine Ortleb

Porträt von Josephine Ortleb
(Foto: Benno Kraehahn (bearbeitet durch spdfraktion.de))

Konkrete Konsequenzen für Pro Familia

Josephine Ortleb sitzt seit 2017 im Bundestag und setzt sich seitdem dort für Frauenrechte ein. Sie war im Familienausschuss Berichterstatterin für die Streichung des Paragrafen 219a. „Das wichtigste Recht, das Frauen haben, ist, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, vor allem wenn man sieht, wie politische Kräfte überall auf der Welt versuchen, Frauen und ihre Körper zu instrumentalisieren“, sagt Ortleb, die auch Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion ist.

Für Ortleb hat die Abschaffung des Paragrafen 219a als ehrenamtliche Pro-Familia-Landesvorsitzende im Saarland ganz konkret Konsequenzen: Sie erwartet, dass sie in einigen Jahren wieder mehr Ärzt:innen finden wird, die bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen - weil diese dann weniger stigmatisiert und kriminalisiert würden.

Bei Pro Familia im Saarland sei der jüngste Arzt, der noch Schwangerschaftsabbrüche durchführe, 71 Jahre alt.

Die gesellschaftliche Debatte brauche ein Update mit Blick auf diese Frage: Gehört die Regelung über einen Schwangerschaftsabbruch wirklich noch ins Strafgesetzbuch zwischen Mord und Totschlag? Das wolle die Ampel nun in einer Kommission besprechen. „Für mich ist in Hinblick auf den Paragrafen 218 jedenfalls klar, dass Schwangerschaftskonflikte nicht ins Strafrecht gehören“, sagt Ortleb.